Welche Farbe hat Trauer? – Elternbrief zum Trauerfall in der Kita

Liebe Eltern der Ulrichsteiner Kindergartenkinder,

wenn man durch die Eingangstür in den Kindergarten hineingeht, dann taucht man durch
einen gelben Vorhang aus Bändern hindurch. „Wie schön“, denke ich. Es ist, als würden mich helle, gelbe Sonnenstrahlen umfangen. Aber eigentlich ist meine Stimmung heute alles andere als hell und fröhlich. Eher tiefschwarz, denn etwas Schreckliches ist passiert: Olivia aus der Igelgruppe hatte am Samstag so eine große Atemnot, dass sie ins Krankenhaus gekommen ist. Am Sonntagabend kam dann die traurige Gewissheit: sie war zu lange ohne Sauerstoff. Jede Hoffnung, dass das kleine Mädchen wieder gesund wird, ist zerschlagen.

Im Kindergarten hatte ich deshalb gestern Morgen die Aufgabe, den Erzieherinnen und den Kindern davon zu erzählen, dass Olivia nicht mehr in die Kita zurückkommt. Wir haben eine Kerze angezündet und ein Gebet gesprochen. Wir haben Gott erzählt, wie traurig wir sind und haben ihm gesagt, dass er bitte auf die Familie von Olivia aufpassen und alle Menschen
trösten soll, die jetzt traurig sind. Eine kleine Kerze, ein kleines Licht in dieser schweren Situation. Und wir haben vereinbart, dass ich in den nächsten Tagen nochmal in den Kindergarten komme – vielleicht will ja jemand mit mir reden, hat eine Frage oder wir zünden noch einmal eine Kerze an. Manchmal hilft es schon, einfach nur da zu sein.

Sie, als Eltern, werden damit schon Erfahrungen gemacht haben, wie es ist, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Sie werden eine Ahnung haben, was Ihnen hilft, wenn Sie deshalb traurig sind: Mit anderen reden. Ans Grab gehen. An die oder den Verstorbene*n denken. Von ihr oder ihm erzählen. Sich erinnern. Ein Bild aufstellen. Eine Kerze anzünden. Beten. Etwas tun, was Sie gerne gemeinsam getan haben. An einen Ort gehen, der Sie miteinander verbindet.

Für Ihre Kinder ist es vielleicht das erste Mal, dass sie mit dem Tod in Berührung kommen. Und für Erwachsene ist es manchmal schwer nachzuvollziehen, wie Kinder mit Sterben und Trauer umgehen. Aber ich glaube: wir können von Kindern in dieser Hinsicht einiges lernen. Vor allem: Fragen stellen. Und gemeinsam über Antworten nachdenken. Für manche Fragen gibt es keine eindeutige Antwort, aber man kann gemeinsam danach suchen. Wenn Ihnen keine Antwort einfällt, dann fragen Sie doch einmal zurück: „Was glaubst denn du?“ Dann können Sie sich gemeinsam mit Ihrem Kind auf die Suche nach einer Antwort machen.

Als ich am späteren Vormittag den Kindergarten wieder verlasse, hüllen mich die gelben
Bänder zum Abschied wieder ein. An der Tür lese ich, dass in der Kita im Moment das Thema „Farben“ hat: die Kinder sind eingeladen, an bestimmten Tagen die farblich passenden Kleider anzuziehen oder sogar ein Frühstück in der entsprechenden Farbe einzupacken. Rot, gelb, grün… „Olivia hätte das gefallen“, denke ich. Sie liebte die Farben und sie liebte es bunt, das habe ich am Wochenende erfahren. Und hier in der Kita habe ich mal wieder
gelernt, wie eng beieinander Freude und Trauer liegen können: In einem Moment ist die Trauer über Olivia groß, im nächsten Moment muss dringend die Geburtstagskrone gebastelt werden. In einem Moment sind sogar die wildesten Kinder ganz still und beten, im nächsten Moment wollen sie raus und toben.

Kinder zeigen uns, dass es normal ist, zwischen Trauer und Freude schwenken. Erwachsene finden es manchmal „unpassend“, in Zeiten von Trauer zu lachen oder fröhlich zu sein. Aber ich glaube: Kinder können auf diese Art und Weise etwas ganz Wichtiges bewahren – nämlich die Freude, die sie mit dem verstorbenen Menschen verbinden. Wenn jemand stirbt, dann ist ein Mensch damit weit weg. So weit weg, dass man deswegen auch traurig ist. Aber die Erinnerung an Menschen bleibt, vor allem an die schönen Erlebnisse, die man gemeinsam erlebt hat. Und ganz besonders an die Freude und Fröhlichkeit, die Olivia ausgestrahlt hat. Und deshalb ist Olivia eigentlich gar nicht so weit weg: Sie ist und bleibt im Herzen von so vielen Menschen. Und wenn in den nächsten Tagen in der Kita bunte Farben auftauchen, dann denke ich dran: dass Olivia ihre Freude daran hätte.

Vielleicht spricht Sie Ihr Kind in den nächsten Tagen ganz unvermittelt an, wo Olivia jetzt
eigentlich ist. Im Himmel? Was glauben Sie? Fragen Sie Ihr Kind doch einmal. Vielleicht ergibt sich dabei ein Gespräch über Himmel und Erde. Über das, was passiert, wenn wir leben oder sterben. Über das, was uns verbindet, an allen Orten und zu allen Zeiten. Erzählen Sie doch Ihren Kindern auch davon, was Sie glauben. Oder davon, was ich glaube: Dass es im Himmel keine Tränen mehr gibt. Kein Schmerz. Kein Weinen. Und dass Gott selbst die Tränen abwischt und sagt: „Ich mache alles wieder neu und gut.“ Ich stelle mir das ein
bisschen so vor, wie von den gelben, sonnigen Strahlen an der Kita-Tür umfangen zu werden.

Wenn Sie mit ihren Fragen aber selbst nicht weiterkommen, dann ist es wichtig, sich
Menschen zu suchen, mit denen man reden kann. Das können andere Eltern sein oder auch „Profis“ in der Krisenberatung wie die Telefonseelsorge (Tel.: 0800/111 0 111 oder per Chat), das Elterntelefon der Nummer gegen Kummer (Tel.: 0800-1110550) – oder Sie melden sich bei mir.

Wer der Familie ganz konkret helfen möchte: wir starten einen Spendenaufruf, um die
Familie bei den Kosten für die Beerdigung zu unterstützen. Die weiteren Informationen
dazu werden wir morgen veröffentlichen. Über alles weitere bleiben wir in Kontakt!

Bleiben Sie behütet! Ihre Pfarrerin Antje Armstroff